Herr der Fliegen

Theater der Jugend Wien

Von William Golding

Premiere: April 2013

Regie: Michael Schachermaier

Bühne: Judith Leikauf, Karl Fehringer

Kostüme: Susanne Özpinar

Mit: Alexander Absenger, Raphael Nicolas, Christopher Ammann, Benjamin Plautz, Felix von Bredow, Jan Hutter, David Jakob, Matthias Hacker, u.a.

Eine kleine Gruppe englischer Internatszöglinge sind die einzigen Überlebenden, die sich nach einem Flugzeugabsturz auf eine paradiesisch anmutende Insel retten können.
Zunächst versuchen die Gestrandeten erwachsene, gelernte Strukturen nachzuahmen: Ralph wird zum Anführer aller gewählt, sein Widersacher Jack zum Chef der »Jäger«. Demokratisch und vernünftig sollen die Meinungen der Jungen verwaltet werden, ein simples Muschelhorn gilt als Symbol des »Stimmrechts«; es wird beschlossen, ein Signalfeuer auf dem Berg der Insel zu entfachen.
Doch es dauert nicht lange, bis das »sogenannte Böse« nach der Gemeinschaft greift. Sind es Wahn- und Angstbilder – oder treibt tatsächlich eine fremdartige Kreatur, die von den Jungen bald »Der Herr der Fliegen« genannt wird, im Dschungel ihr Unwesen? Und wie ihr begegnen? Das »Fremde« wird schnell zum Symbol des Bösen – und nach wortreichen Kämpfen spaltet sich die Gemeinschaft: Jacks »Jäger« verschreiben sich der kriegerischen Erkundung der Insel, bei Ralph bleiben nur der kurzsichtige dickliche Piggy und die Zwillinge Sam und Eric.
Als Jack zu »Werbezwecken« für seine Gruppe ein wildes Fest abhält, kommt es zu einem tragischen Missverständnis: Simon, der das »Rätsel der Kreatur« gelöst hat, wird im Dunkel nicht erkannt und wie im Blutrausch von Jacks Partei getötet, ohne sein Geheimnis preisgeben zu können.
Die »Jäger« wollen nun die gesamte Insel kontrollieren, stellen Wachen auf, legen Fallen – und sehen zuletzt auch Ralphs Gruppe als feindlich und als für die »Moral der Insel« verderblich an. Eine Treibjagd auf Ralph wird angesetzt…

William Golding, 1983 Nobelpreisträger für Literatur, hält uns in seiner berühmt gewordenen Parabel einen Spiegel vor: die Schwierigkeit sich täglich für moralisches Handeln zu entscheiden und die Notwendigkeit gegen repressive Herrschaftstechniken zu revoltieren

Website Theater der Jugend Wien

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Foto(s) copyright Rita Newman

Foto(s) copyright Rita Newman

Wie schon in seinen früheren Inszenierungen am Theater der Jugend setzt Schachermaier auf eindrucksvoll-archaische Bilder, starke Musik (Hans Wagner) und eine sehr gewissenhafte Personenführung, mit gut getimten Dialogen und Chorszenen. Der Regisseur nimmt sich genug Zeit, die Figuren zu etablieren, Ralph und Jack als Gegenspieler aufzubauen und das soziale Gefüge zu entwickeln.
— ORF, 10.04.2013
Michael Schachermaier inszeniert bild- und tonstarken Klassiker.

Für William Golding war die Arbeit an seinem 1954 erschienenen Roman “Herr der Fliegen” die “einzige Möglichkeit, der Erinnerung des Kriegs zu entkommen, ohne für immer zu einem seelischen Krüppel zu werden”. Fast 60 Jahre später gehört der zum Klassiker gewordene Stoff noch immer zum fixen Repertoire vor allem des Jugendtheaters. Die Parabel über das Ende der menschlichen Unschuld hat der junge Salzburger Regisseur Michael Schachermaier, der zuletzt am Burgtheater einen dämonischen “Alpenkönig” inszenierte, nun für das Theater der Jugend in einer ausdrucksstarken wie eindrucksvollen Version auf die Bühne gebracht. Ein erschreckend aktueller Abend, der ohne verkrampfte Modernisierungsversuche doch auch an tödlich ausgegangene Mobbing-Fälle der letzten Jahre gemahnt.

Herr der Fliegen wieder in Wien
Die Insel, auf der die Gruppe von Schülern nach einem Flugzeugabsturz gestrandet ist, erinnert im Renaissancetheater mehr an die Ruinen eingestürzter Stahlbetonbauten denn an einen Dschungel. In kaltem Licht liegen die Trümmer kreuz und quer über der Bühne und bilden eine postapokalyptische, monströse Kulisse für den Horrortrip, der den jungen Männern bevorsteht. Haben sie zu Beginn noch harmonisch vereint an der Bühnenrampe die Hymne “Jerusalem” zum Besten gegeben, zeichnen sich schon in den ersten Minuten am idyllischen Strand die sich bald auftuenden Gräben zwischen den Protagonisten Ralph und Jack auf.

Licht und Ton dabei wesentlich
Dabei setzt Schachermaier von Anfang an auf den ausdrucksstarken Einsatz von Licht und Ton, ohne diesen jedoch zu seichten Effekten verkommen zu lassen: In durch Blackouts unterbrochenen, kurzen, filmisch anmutenden Szenen, die in gleißendes Licht getaucht sind, rattern die Burschen durch Goldings gruppendynamische Abwärtsspirale. Dennoch wirkt die Inszenierung nie gehetzt. Vielmehr hat der Regisseur sichtlich intensiv mit seinen hervorragenden Darstellern gearbeitet, die ihre Charaktere binnen kürzester Zeit etablieren und sich fortan deren dunkler Transformation widmen können. Allen voran Raphael Nicholas als Antagonist Jack, der in einer Mischung aus kindlichem Fantasieüberschuss und männlichem Blutrausch die Jagd auf Schweine und “das Biest” aufnimmt und zusehends alle Gruppenmitglieder auf seine Seite zieht.

Hoffnung auf Rettung ständiger Begleiter
Dabei hält sich Alexander Absenger lange Zeit als charismatischer, überlegter Anführer Ralph, der stets die Hoffnung einer Rettung im Auge behält und umsichtig mit den unterschiedlichen Charakteren der Gruppe umgeht. Herrlich prototypisch gibt Andre Haedicke den unbedarften Piggy, Jennifer Newrkla behauptet sich als einzige Frau in der Rolle des Nesthäkchens Perceval.Unterstützt wird die Höllenfahrt, die streckenweise einem unglückseligen Acid-Trip auf einer Techno-Party gleicht, vom hervorragenden Bühnenbild (Judith Leikauf und Karl Fehringer) sowie den schlichten, aber originellen Kostümen von Susanne Özpinar. Die Gebäudetrümmer eignen sich nicht nur als Rampe auf die zweite Ebene, die den Insel-Hügel darstellt, sondern auch als Rahmen für die Höhle des Monsters oder die Andeutung des Unterholzes, in welches sich Ralph zum Ende hin verkriecht.

Stück mit zeitlosem Charakter
Michael Schachmaier setzt vollends auf die Kraft und das Thema des Textes, um dessen Zeitlosigkeit zu untermauern. Er braucht keine modernen Accessoires, um das junge Publikum wachzurütteln. Unheilvolle Gruppendynamik, wie sie sich in den letzten Jahren vom Klassenzimmer hinein ins virtuelle (soziale) Netzwerk verlagert hat, ist wohl jedem bekannt. Und so ist Schachermaiers “Herr der Fliegen” ein willkommener Wink aus der Vergangenheit, sich Gedanken über die Prozesse im eigenen Umfeld zu machen. Dies geschieht keinesfalls
— ö24, Kultur
Der „Herr der Fliegen“ macht britische Buben böse

Michael Schachermaier inszeniert eine Dramatisierung des Romans von William Golding sportlich: Elf Schauspieler entwickeln beachtliche Gruppendynamik (...)

Wie sieht es auf einer pazifischen Insel nach einem Flugzeugabsturz aus, und was macht ein Mensch, falls er ihn überlebt? In William Goldings Bestseller „Lord of the Flies“ (1954) findet sich eine Gruppe britischer Buben in einer Schneise wieder, die von der Maschine in die wuchernden Tropen geschlagen wurde. Sie passen sich der Wildnis an.

Michael Schachermaier lässt bei seiner Inszenierung im Renaissancetheater (Premiere war am Dienstag) erst einen Knabenchor das patriotische Lied „Jerusalem“ anstimmen, ehe der Vorhang abgesenkt wird und den Blick auf architektonisches Chaos freigibt – kein Dschungel, sondern Teile aus dem Inneren des Flugzeugs, die einen Kletterpark mit Rutschen und Höhlen ergeben. Dort toben sich in gut zwei Stunden elf junge Schauspieler aus und zeigen, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, wie rasch aus pubertären Rangkämpfen tödlicher Ernst wird. Außenseiter gehen dabei drauf

Zur Vorgeschichte: Es hat offenbar einen Atomkrieg gegeben, Kinder wurden zur Rettung ausgeflogen. Nun findet sich eine bunte Mischung von Knaben in der Wildnis wieder. Der Vernünftigste von ihnen, der Regeln zum gemeinsamen Leben einführen will und Pläne zur Rettung, ist auch der Verletzlichste: Piggy (André Haedicke), korpulent, asthmatisch, mit dicken Brillen wird sofort gehänselt, sogar von dem an sich gutgesinnten Ralph (Alexander Absenger), der nicht zuletzt durch Piggys Umsicht zum Anführer gewählt wird. Ihr Zeichen der Gemeinschaft ist ein Muschelhorn, mit dem man Signale blasen kann. Wer es hält, darf sprechen.
Das Wilde steckt tief im Menschen

Solange Demokratie herrscht. Ralphs brutaler Gegenspieler Jack (Raphael Nicholas) aber, Anführer von Resten eines Knabenchors, reagiert brutal, als sein Machtanspruch nicht anerkannt wird. Er zieht sich mit seiner Truppe als Jäger aus dem Lager zurück. Die Braven hüten dort weiter das Feuer, die Wilden suchen Wildschweine und erlegen tatsächlich eines. Jack steckt den Kopf des Kadavers auf einen Pfahl. Wie ein Schamane wirbelt er durch die Szenen, beschmiert sich und seine Anhänger mit Blut und Ruß. Sie huldigen dem „Herrn der Fliegen“. Schon in der Bibel war der Fliegengott das Böse an sich, der Beelzebub. Angst vor dem Raubtier dominiert die Gruppe und macht den irren Jack stark. Doch das Wilde steckt nicht tief im Dschungel, sondern in den Menschen, lautet Goldings Botschaft.

Schachermaier entwickelt die differenten Charaktere deutlich, vor allem die Darsteller von Piggy, Ralph und Jack erhalten ausreichend Gelegenheit, den Protagonisten Farbe zu geben. Auch Jennifer Newrkla, die den kleinen Mitläufer Perceval spielt, der zum naiven Verräter wird, und Jan Hutter, der den sensiblen Simon gibt, das erste Opfer, haben genug Raum, ihre Rollen zu entwickeln. Die Übrigen aber sind meist als Turner, Sänger und Stichwortgeber beschäftigt.

Es wurde flott choreografiert, mit vollem Einsatz von Rauch und Feuer, mit dramatischen Klangeffekten. Dennoch entstehen gewisse Längen, weil sich die Muster etwas zu oft wiederholen und weil auch die humanistische Botschaft des Romans ziemlich plakativ zur Schau gestellt wird. Das beeinträchtigt die Gesamtleistung nur am Rande. Regie und Ensemble setzen den modernen Klassiker nämlich mit viel Herzblut um.
— Die Presse, Norbert Mayer, 13.4.2013