Parzival

nach Wolfram von Eschenbach
von Michael Schachermaier

Theater im Zentrum, 1010 Wien, Liliengasse 3 Zeitraum: 20. April 2024 - 15. Juni 2024 Premiere: 23. April 2024

Um ihm das brutale Schicksal seines Vaters und sich selbst einen weiteren schweren Verlust zu ersparen, beschließt Herzeloyde, die vielleicht erste Helikoptermutter der Literaturgeschichte, ihren kleinen Parzival fernab von Zivilisation und jeglicher Gefahr aufzuziehen. Dass der mit den besten Anlagen ausgestattete Parzival auf diese Weise zum absoluten Hinterwäldler – im wahrsten Sinne des Wortes – gerät, darf also nicht verwundern. Da alles Unbekannte naturgemäß einen umso größeren Reiz auf den Heranwachsenden ausübt, ist es schon bei seiner ersten Begegnung mit der Außenwelt um ihn geschehen. Von nun an kennt Parzival nur noch ein Ziel: Er will Ritter werden.
Voller Selbstbewusstsein und Tatendrang zieht er aus, um seinen Traum zu verwirklichen. Seine Versuche, alles richtig zu machen und die vielen guten Ratschläge gewissenhaft zu befolgen, werden ihm allerdings eines Tages zum Verhängnis, und Parzival muss erkennen, dass einem niemand beibringen kann, man selbst zu sein.

Wenig ist bekannt über den rätselhaften Autor namens Wolfram von Eschenbach, der ein bis heute für die Nachwelt höchst inspirierendes Werk in Versform verfasst hat. Entgegen des mittelalterlichen Zeitgeistes geizte er in seinen Schriften keinesfalls mit Anspielungen seine Person betreffend, bezeichnete sich selbst ironischerweise als »Analphabet«, zeigt in seinem Werk allerdings eine umfassende Kenntnis des mittelalterlichen Bildungskanons und darf wohl als Erfinder des Geniekultes um das Künstlertum bezeichnet werden. In der Tat ist »Parzival« der Vorläufer aller Entwicklungsromane. Und noch selten hat jemand bereut, sich in diese mystische Welt zu begeben.

Besetzung und Team:

Parzival Jonas Graber Herzeloide, Parzivals Mutter / König Artus / Eine Fischerin / Trevrizent, ein Einsiedler Elisa Seydel Anfortas, Gralskönig / Ein Ritter im Wald (3) / Der Rote Ritter Ither Uwe Achilles Gahmuret / Ein Ritter im Wald (2) / Herzog Orilus / Herr Gurnemanz Frank Engelhardt Kundry, eine Zauberin / Herzogin Jeschute / Ein Ritter im Wald (1) / Der Silberne Ritter Sascia Ronzoni

Regie Michael Schachermaier Ausstattung und Video Dominique Wiesbauer Licht Fritz Gmoser und Daniel Ueki Dramaturgie Sebastian von Lagiewski Assistenz und Inspizienz Natalie Ogris

„Möchtegern-Ritter “Parzival” im Fantasyland

Das Theater der Jugend in Wien erzählt den berühmten Versroman mit tollen digitalen, mittelalterlichen Kulissen für alle ab elf Jahren
Kingrimursel, Plippalinot oder Vergulacht – das Mittelhochdeutsche hat seine witzigen Seiten (zumindest was die Eigennamen betrifft). Inspiriert davon ging Regisseur Michael Schachermaier daran, Wolfram von Eschenbachs berühmten Versroman Parzival für das Theater der Jugend neu zu schreiben. Die 25.000 Reime wichen einem schneidig komprimierten Dialogstück, das von der Abenteuerlust und den Lehrjahren des im Wald aufgewachsenen Königinnensohnes erzählt.
Parzival (Jonas Graber) verlässt seine fürsorgliche Mutter Herzeloide (Elisa Seydel), um seinem tapferen, im Kampf gefallenen Vater Gahmuret (Frank Engelhardt) nachzueifern, und gerät so auf die für ihn ohnehin vorgesehene Bahn als künftiger Gralskönig. Die Neudichtung folgt dem patrilinearen Grundmuster, Frauenfiguren (etwa Sascia Ronzoni als Kundry) bleiben dabei in Gehilfinnenpositionen, sie sterben gewohnheitsmäßig auch an gebrochenem Herzen – da wäre mehr Aktualisierung möglich gewesen. Um Ausgleich zu schaffen, übernimmt Elisa Seydel die Rolle von König Artus, verleiht diesem aber erst recht wieder ein explizit mackerhaftes Aufreten.
Digitale Kulissen

Schachermaier taucht die Ritterwerdung in ein Fantasy-Kleid, für das Bühnenbildnerin Dominique Wiesbauer ansprechende Videoanimationen entwickelt hat, die das Geschehen auf der Bühne des Theaters im Zentrum integral überblenden. Das hat Effekt. In schnellen Schritten zieht die Uraufführung voran und lässt doch keine wichtige Begegnung aus. Chapeau für diese Dramaturgie (Sebastian von Lagiewski)!Dabei erschaffen die digitalen Kulissen eine pulsierende mittelalterliche Welt, in der Fachwerkhäuser Parzivals Weg säumen, Bettler am Wegesrand ihm die Hand entgegenstrecken oder sich animierte Pferde vor ihm aufbäumen. Soundtechnisch hat man wie immer alle Geschütze aufgefahren: wummernde Watschen, krachenden Schlachtsound oder knisternde Feuersbrünste. Vor allem optisch ist das ein lukullischer Abend.“
— — Der Standard, Margarete Affenzeller, 24.4.2024